Blogeintrag 6 - Erasmus und Reisen
Der Blick auf mein Bankkonto macht mich leicht hysterisch, denn bald haben sich auch meine letzten Ersparnisse in Luft ausgelöst. Man kann sagen, dass ich jetzt wirklich zu den armen Studenten gehöre. Zwar bin ich jetzt pleite, aber um tausend wunderschöne Erfahrungen reicher. Das hört sich total kitschig an, ist aber wirklich so! In meinen Kalender schauend stelle ich fest, dass ich in den letzten fünf Monaten schon mehr als 20 Städte und Orte bereist habe. Ich saß vier Mal im Flugzeug und war an sieben verschiedenen Orten im Meer baden. Aufgrund der Tatsache, dass ich nur meine Sprachkursprüfung ablegen musste, hatte ich natürlich auch ausreichend Zeit zum Reisen.
Wenn ich mich an den ersten Tagesausflug nach Venedig Mitte Februar erinnere, fühlt sich dieser schon so unglaublich weit entfernt an. Damals hatten wir noch unsere Winterjacken an und haben sogar gefroren. Bei meiner letzten Reise nach Apulien am Absatz des italienischen Stiefels bin ich in der Sonne fast geschmolzen. Ich kann nur immer wieder betonen: Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht.
Fast alle Reisen und Ausflüge haben meine Freunde und ich alleine organisiert. Nur eine Reise nach Neapel, Sorrento und Capri haben wir mit der Organisation Erasmusland gemacht. Diese Erasmuslandreisen sind ziemlich billig und gut organisiert, aber auch sehr anstrengend und erinnern schwer an eine Klassenfahrt. Meine Mädels, ich und 55 andere Erasmusstudenten (davon ca. 50 Spanierinnen und Spanier), sind über Nacht mit dem Bus von Bologna nach Neapel gefahren und hatten gleich ein straffes Tagesprogramm auf Capri. Todmüde und ziemlich erschlagen von der Anreise bewanderten wir die ganze Insel und machten eine wunderschöne Bootstour. Obwohl ich in meinem Auslandjahr nach dem Abitur in Italien schon wirklich sehr viele schöne Orte gesehen habe, kann ich sagen, dass Capri definitiv zu den allerschönsten Plätzen Italiens gehört. Das Meer ist türkisblau und die Häuser auf der kleinen Insel schneeweiß. Die Landschaft sieht wirklich aus wie gemalt. Weiter ging die „Klassenfahrt“ nach Neapel, Sorrento, den Vesuv und Pompei.
Umso mehr die Neapolitaner stolz auf ihre neapolitanischen Wurzeln sind, desto weniger gut sprechen die restlichen Italiener über die Stadt und ihre Einwohner. Mir ist aufgefallen, dass viele diesen Fleck Italiens mit einem unverständlichen Dialekt, viel Schmutz, Chaos, aber der allerbesten Pizza verbinden. Und es stimmt wirklich: Die Stadt ist ziemlich schmutzig, aber dennoch schön. Wenn Neapolitaner in ihrem Dialekt sprechen verstehe ich kein einziges Wort und frage mich, ob das diese Sprache wirklich etwas mit der italienischen Sprache zu tun haben soll. Alle Wörter werden verkürzt ausgesprochen oder es werden überhaupt ganz andere Wörter beim Sprechen benutzt. Außerdem ist die Aussprache viel weicher und undeutlicher als im „Hochitalienischen“ (erinnert mich irgendwie ein bisschen an meinen badischen Dialekt). Die Stadt ist dazu wirklich chaotisch, denn rote Ampeln gibt es nicht. Noch weniger als hier in Bologna wird die Existenz eines Zebrastreifens beachtet. Wenn man über die Straße geht muss man unglaublich aufpassen und lieber zehn Mal nach rechts und nach links schauen. Was mich wirklich geschockt hat war, dass fast alle Rollerfahrer keine Helme tragen und zudem zu dritt mit zwei Kindern (und ohne Helm!) auf einem Roller gefahren wird. Vielleicht bin ich auch einfach „zu deutsch“ und zu verantwortungsbewusst, um diesen gefährlichen Anblick zu ertragen.
Ob wirklich alle Italiener schlecht über die Stadt und deren Bewohner denken, weiß ich nicht. Vielleicht sind es auch nur die Italiener aus dem Norden, denn das Nord- Südgefälle hier ist nicht zu vergleichen, mit den Unterschieden des deutschen Nordens und Südens. Meiner Meinung nach sind nicht nur die Städte und die Dialekte komplett unterschiedlich, sondern auch die Mentalitäten der Nord und Süditaliener. Je weiter man in den Süden fährt, desto offener werden die Menschen und desto schlechter die Infrastruktur. Aber um sich davon ein Bild zu machen und darüber urteilen zu können, sollte man am besten selbst eine Reise quer durch Italien machen.
Doch nun zurück zur Erasmuslandreise. Im Allgemeinen haben sich die 170 Euro für vier Tage mit Übernachtung, Anreise und Frühstück allemal gelohnt. Dadurch, dass die Organisatoren diese Reise schon mehrere Male durchgeführt haben, ist alles genau getaktet und man sieht unglaublich viele Dinge, die man auf eigene Faust vielleicht nicht besucht und gesehen hätte. Zudem kommt man in Kontakt mit anderen Erasmusstudenten, die man sonst in Bologna wahrscheinlich nicht mehr getroffen hätte. Man kann sich jedoch darauf einstellen, dass jeden Abend Party angesagt ist und der Alkoholkonsum auch nicht zu kurz kommt. Natürlich kann jeder entscheiden, ob und wie lange er am Abend ausgeht und wie viel er trinken will. Man kann aber auch davon ausgehen, dass man 24 Stunden am Stück von Raggeaton (lateinamerikanischer und spanischer Musik) beschallt wird und die Energie der spanischen Mitreisenden unermüdlich ist. Eine weitere Reise mit Erasmusland oder ESN würde ich wahrscheinlich nicht machen, aber einmal das volle Erasmus-Party-Programm mitzuerleben hat sich durchaus gelohnt. Vielleicht bin ich als „Erasmusomi“ mit meinen angehenden 25 Jahren einfach schon zu alt, denn die meisten Erasmusstudenten sind zwischen 19 und 22 Jahren. Wenn ich mich an mein Ich mit 19/20 erinnere, wäre ich im Hinblick auf Dauerparty auf jeden Fall um einiges motivierter gewesen.
Schließlich kann ich nur nochmal betonen, dass Italien wirklich ein wunderschöner Fleck auf dieser Erde ist und landschaftlich und kulturell unheimlich viel zu bieten hat. Allen die sich gerade überlegen Erasmus zu machen, kann ich wirklich nur ans Herz legen: Entscheidet euch für Bologna, ihr werdet es auf keinen Fall bereuen.
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