Reisende Studentin am Flughafen

Universität Krakau, Polen

Blogeintrag 6 - Zu Besuch in der Hauptstadt

25.05.2016 | Universität Krakau

Nach mehr als zwei Monaten in Polen war es höchste Zeit, endlich mal der Hauptstadt einen Besuch abzustatten. Glücklicherweise hatten wir Anfang Mai ein langes Wochenende, denn in Polen ist nicht nur der erste Mai ein Feiertag, sondern auch der dritten Mai. Am Tag der Konstitution erinnert man in Polen an die 1791 verabschiedete Verfassung, eine der ersten modernen Verfassungen in Europa. Der dritte Mai wird hier also groß gefeiert und die Straßen waren voller polnischer Flaggen, sogar jede Straßenbahn und jeder Bus waren mit kleinen rot-weißen Fähnchen geschmückt.

Im Vorfeld habe ich ziemlich unterschiedliche Meinungen über Warschau gehört. Manche Leute waren ziemlich begeistert, vor allem von den Museen, andere meinten nur die Stadt sei hässlich und nicht unbedingt einen Besuch wert.
Ich denke, es kommt darauf an mit welcher Einstellung man nach Warschau fährt. Die Stadt ist mit 1,7 Millionen Einwohnern die mit Abstand größte Stadt Polens, das wirtschaftliche Zentrum des Landes und war nach dem zweiten Weltkrieg nahezu vollkommen zerstört. Dass einen also etwas anders erwartet als die hübschen Altstädte und Marktplätze wie in Krakau, Breslau oder Posen ist klar.
Mir hat die Stadt auf jeden Fall gut gefallen, vielleicht gerade weil sie so anders ist als die anderen polnischen Städte die ich bisher besucht habe. Eine richtige Großstadt eben.

Wenn man vor dem Hauptbahnhof steht blickt man zwischen den Hochhäusern hindurch direkt auf eines der Wahrzeichen Warschaus: Der Pałac Kultury i Nauki (Palast der Kultur und Wissenschaft). Der Wolkenkratzer wurde als Geschenk der Sowjetunion nach dem Krieg errichtet und ist bei den Polen nicht unbedingt beliebt, da man darin ein Symbol der Unterdrückung und Fremdherrschaft sieht. Für mich war es aber ein sehr beeindruckendes Bauwerk und von der Aussichtsplattform hat man zudem eine fantastische Aussicht.

Weitere Highlights in Warschau waren der Łazienki-Park, wo man ausgiebig spazieren gehen kann sowie eine Tour durch das alternative Viertel Praga. Außerdem gibt es in Warschau unzählige spannende Museen. Auf vielfache Empfehlungen hin war ich im Museum des Warschauer Aufstandes und im jüdischen Museum. Beide Museen sind sehr modern und interessant gestaltet und man sollte mehrere Stunden für den Besuch einplanen, da es sehr viel zu sehen und zu lesen gibt. Vor allem für das jüdische Museum hatte ich leider nicht genügend Zeit, die Ausstellung dokumentiert die Geschichte der jüdischen Kultur in Polen vom Mittelalter bis heute und ist dementsprechend umfangreich.
Weniger spannend war die recht überschaubare Altstadt von Warschau, zumindest wenn man es gewöhnt ist über den Marktplatz und durch die Gassen von Krakau zu schlendern.
Es ist kaum zu vermeiden, Polens ehemalige und aktuelle Hauptstadt miteinander zu vergleichen, schon allein wegen der ewigen Rivalität die zwischen den beiden Städten besteht.

Dabei fällt auf, dass Krakau und Warschau eigentlich kaum etwas gemeinsam haben. Nicht nur die Gebäude und das Stadtbild, auch die Atmosphäre und die Menschen sind ganz anders in Warschau. Alles ist ein bisschen gehetzter und geschäftsmäßiger als in Krakau, nach gemütlichen Restaurants und Cafés muss man sorgfältig suchen, während man sich in Krakau kaum entscheiden kann, wo man denn heute essen gehen soll. Dazu ist in Warschau alles wesentlich teurer.
Ein Tourguide erklärte uns, dass die Warschauer die Krakauer um die entspannte Atmosphäre und Kultur beneiden, während die Krakauer gerne mehr große Firmen in ihrer Stadt hätten, die aber alle ihren Sitz in Warschau haben. Ich glaube diese Einschätzung trifft es ziemlich gut. Alles in allem war es ein spannender Besuch und über Couchsurfing habe ich zudem einige Warschauer kennen gelernt, die mir noch einmal einen ganz anderen Eindruck der Stadt vermittelt haben, als man normalerweise in Hostels oder Hotels gewinnt.

Zurück in Krakau ging es direkt weiter im Programm, eine Woche lang hatte ich Besuch von einigen Freunden aus Deutschland. Es ist ziemlich witzig, den Touristenguide zu spielen, Eigenheiten der polnischen Kultur zu erklären oder im Restaurant ein bisschen meine Polnisch-Kenntnisse anzuwenden um meinen Freunden die Speisekarte zu übersetzen oder beim Bestellen zu helfen. Dabei bemerke ich, dass ich mich doch schon ein wenig zu Hause fühle hier. Umso trauriger macht es mich, dass schon weit mehr als die Hälfte des Erasmus-Semesters vorbei ist.
Da eine meiner Freundinnen vor ein paar Jahren schon einmal in Krakau war, konnten wir die Zeit für einen Wanderausflug in die Tatra nutzen. Gemeinsam mit meinen Mitbewohnern (übrigens der erste Ausflug mit der gesamten WG!) wanderten wir zuerst zum Morski Oko und machten dann eine Kletterpartie über eine etwas rutschige und steile Route zu dem höher gelegenen See „Czarny Staw“.  Es war sehr schön, den Übergang zwischen Winter und Frühling zu beobachten, denn in den Bergen liegt noch immer Schnee und auch die Seen waren teilweise noch gefroren.
Diese Woche herrschte in Krakau übrigens Ausnahmezustand: das eine Woche andauernde Studentenfestival „Juwenalia“ findet gerade statt und bietet einem neben Konzerten und Partys eine gute Gelegenheit, Einblicke in das Krakauer Studentenleben zu bekommen. Traditionell finden am Freitag der Juwenalia-Woche keine Kurse statt. es ist ein bisschen wie an Karneval, die Studenten verkleiden sich und ziehen mit einer großen Parade vom Campus zum Marktplatz, wo ein Vertreter der Studenten vom Bürgermeister den Schlüssel zur Stadt überreicht bekommt. Danach wird auf dem Marktplatz gefeiert, sogar das Verbot von Alkohol in der Öffentlichkeit wird kurzzeitig ausgesetzt. Ganz wichtig ist es dabei, zu zeigen zu welcher Universität man gehört und die eigene Uni lautstark zu unterstützen. Es gibt in Krakau zehn staatliche Universitäten sowie zahlreiche private Akademien und natürlich gibt es eine Art Rivalität, welches die beste Universität ist, vor allem zwischen den größten beiden, der Jagiellonen-Universität und der AGH (wissenschaftlich-technische Universität).

Es ist auf jeden Fall ganz interessant, auch ein paar Traditionen der polnischen Studenten mitzuerleben, denn ansonsten habe ich oft ein bisschen das Gefühl, dass man sich als Erasmus-Student in einer Art Blase aus einfachen Kursen, internationalen
Leuten, Partys und jeder Menge Freizeit bewegt. Aber vermutlich sind das einfach Vorteile, die ein Erasmus-Semester so mit sich bringt.


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