Internationale Studentin und internationaler Student im Studiengang Robotik

Université Sorbonne Paris Nord, Frankreich

Blogeintrag 5 - Wann hast du das letzte Mal eine Kastanie in deine Tasche gesteckt?

Ich bin mir, um ehrlich zu sein nicht sicher, was ich vor meinem Aufenthalt von dieser Stadt erwartete. Nicht jedoch, dass sie mich so plätten würde. Neben den wunderschönen Straßen, Cafés, Aussichtspunkten und Parks gibt es eben auch die Lautstärke. Überall sind Autos, Lichter, Menschen und so viele Eindrücke, die gleichzeitig auf einen einprasseln. Dann die neue Sprache und die Herausforderung Anschluss zu finden. In der dritten Woche habe ich mich auch noch mit Corona angesteckt und war eine Woche in Quarantäne. „Überwältigt“ ist das Wort, was meine Gefühlslage zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich am besten beschreibt. Und auch wenn überall Menschen um mich herum waren, habe ich mich irgendwie allein gefühlt. Es ist sehr leicht z.B. auf Partys, in Bars oder bei Erasmus-Events neue Leute kennenzulernen. Aus diesen Bekanntschaften dann jedoch Freundschaften werden zu lassen erfordert Geduld und Arbeit, da man sich hier nicht mal eben spontan über den Weg läuft. Willkommen in der Großstadt!

In all dem Trubel habe ich mich nach einem Monat in die Straßenbahn gesetzt und bin in den Wald gefahren. Ich hatte vergessen, wie sehr ich die Natur brauche und daraus Energie schöpfe. Der Wald ist für mich ein Rückzugsort, an dem ich Kraft tanken kann und zur Ruhe komme. Hier ein kleiner Auszug aus meinem Tagebuch an diesem Tag.

Paris, 13.02.2022:
„Ich habe die Kastanie in meine Tasche gesteckt. Sie ist für mich ein Stück Wald, was ich jeden Tag dabeihabe. Ein Anker, an dem ich mich festhalten kann, wenn ich drohe in den Fluten der Stadt zu versinken. Ein Stück Achtsamkeit, Ruhe und tiefer Atem. Ein Stück ich.“ Die Kastanie ist seit diesem Tag in meiner Tasche. Sie hilft mir, mich in überwältigenden Situationen (z.B. wenn man sich in der Metro nicht mehr umdrehen kann, weil so viele Leute reingequetscht sind, oder man für 20 Minuten den Ausgang im riesigen Nordbahnhof nicht findet) besser zurecht zu finden, kurz durchzuatmen und dann weiterzumachen. Wenn die Stadt ein Meer ist, dessen Fluten mich zu verschlingen drohen, dann habe ich nun gelernt auf ihren Wellen zu Surfen.

Ein weiterer Turningpoint war für mich ein Satz, den eine französische Freundin, die ich hier kennenlernen durfte, eines Abends in der Kneipe sagte, als wir über Paris redeten: „Es gibt immer die positiven und negativen Seiten und es ist gut sich auf die positiven zu konzentrieren.“ Da dachte ich nur „Yes girl! Mit Menschen wie dir, möchte ich mich umgeben. Ich kann noch so viel von dir lernen.“ Tatsächlich ist sie hier zu einer meiner besten Freundinnen geworden. Dank ihr habe ich Anschluss gefunden, die Stadt aus neuen Blickwinkeln entdeckt, mein Französisch wahnsinnig verbessert und Erinnerungen geschaffen, die bleiben.
Ich bin wohl dabei, mich in diese Stadt zu verlieben.


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